40 Jahre Nationalpark Wattenmeer
Artikelserie zum aktuellen Themenjahr
In diesem Jahr wird der Nationalpark 40 Jahre alt. Hierzu beleuchten wir in einer Serie von Artikeln verschiedene Aspekte dieses Jubiläums. Zum Einstieg gibt Dr. Hans-Ulrich Rösner, viele Jahre Leiter des Wattenmeerbüros des WWF, einen Überblick.
40 Jahre Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer
Als am 1. Oktober 1985 das schleswig-holsteinische Nationalparkgesetz in Kraft trat, entstand der größte Nationalpark zwischen Sizilien und Nordkap. Wegen vielfältiger Bedrohungen des Wattenmeers war dies damals dringend erforderlich: Eindeichungen verringerten seine Fläche, und die Verschmutzung durch Schad- und Nährstoffe nahm stetig zu. Wasservögel wurde bejagt, Seehunde waren selten geworden, Kegelrobben seit langem ganz verschwunden.
Schon lange vor 1985 gab es Vorschläge für großflächigen, über kleine Naturschutzgebiete hinausgehenden Schutz. So veröffentlichte die Schutzstation Wattenmeer 1963 ihr Konzept für ein „Großreservat Halligmeer“ und propagierte schon zum Deutschen Naturschutztag 1972 einen Nationalpark. Doch diese ersten Anläufe waren politisch schnell begraben. 1974 wurde immerhin mit dem „Naturschutzgebiet Nordfriesisches Wattenmeer“ ein Vorläufer des späteren Nationalparks ausgewiesen. Fast das gesamte Wattenmeer zwischen Sylt und Tümlauer Bucht war seitdem geschützt.
Heftige Diskussionen gingen der Nationalpark-Gründung voraus, denn viele Anwohnende lehnten diese ab. Doch die von der CDU gestellte Landesregierung setzte den Nationalpark durch. Mit rund 2.800 km² umfasste er fast das gesamte schleswig-holsteinische Wattenmeer mit Ausnahme der Inseln und der großen bewohnten Halligen.
Im Naturschutz stieß der Nationalpark zwar auf viel Zustimmung, der konkrete Gesetzestext aber auch auf Kritik, denn bestehende Nutzungen, wie die Fischerei, blieben auf ganzer Fläche erlaubt. Das passte nicht zu den internationalen Vorgaben, nach denen Nationalparke sich auf 75 % ihrer Fläche ungestört entwickeln sollen – „Natur Natur sein lassen“ ist ihr übergeordnetes Ziel. Auch nicht mit einem Nationalpark vereinbar war, dass das Gesetz den Bau einer Ölförderplattform auf der Mittelplate ermöglichte.
Doch die Vorteile des Nationalparks überwogen und Naturschutzorganisationen wie die Schutzstation Wattenmeer und der WWF waren zuversichtlich, dass die Defizite mit der Zeit behoben werden könnten. In Teilen gelang dies 1999 mit der auf einer vorangegan-genen Ökosystemforschung basierenden Gesetzesnovelle. Der Nationalpark wuchs seewärts auf rund 4.400 km² und wurde nach ökologischeren Kriterien neu zoniert.
Die Anstrengungen für den Schutz lohnten sich: Eindeichungen wurden eingestellt, Salzwiesen blühten wieder auf, die Jagd auf Wasservögel endete, Brutgebiete wurden besser geschützt, der Seehundbestand erholte sich und Kegelrobben kamen wieder zurück. Hoch zu bewerten ist auch, dass in Infozentren und durch Führungen sehr viele Menschen an die Natur herangeführt werden. Auch zivilgesellschaftliche Organisationen wie die Schutzstation Wattenmeer wurden in die Arbeit für den Nationalpark eingebunden und tragen sehr wesentlich zu dessen Erfolg bei.
Schutz nicht nur in Schleswig-Holstein
Auch Niedersachsen und Hamburg schützten ihre Anteile des Wattenmeeres als Natio-nalparke. Für das gesamte Wattenmeer setzten Dänemark, Deutschland und die Nieder-lande dann 1991 einen gemeinsamen Standard, der Nationalparkzielen entspricht: „Das Leitprinzip der trilateralen Wattenmeerpolitik ist es, so weit wie möglich ein natürliches und sich selbst erhaltendes Ökosystem zu erreichen, in dem natürliche Prozesse unge-stört ablaufen können.“
Alles gut?
Für viele Bedrohungen des Wattenmeeres wurden trotz der Nationalparke noch keine oder keine ausreichenden Lösungen gefunden: Die Zerstörung der Flussmündungen durch Vertiefungen, die Schifffahrt mit der Freisetzung von Schadstoffen bei Havarien, die Baumaßnahmen des Küstenschutzes, die Fischerei, die Zufuhr von Nähr- und Schadstoffen, die Verlegung großer Kabel sowie die Ölförderung sind Beispiele.
Auch der Tourismus kann die Natur bedrohen. Doch die Tourismuswirtschaft hat erkannt, dass die meisten Gäste auch wegen der Natur an die Nordsee kommen. Viele Unter-nehmen sind „Nationalpark-Partner“ geworden und richten sich nachhaltiger aus.
Die größte Bedrohung für den Nationalpark ist die Erderhitzung. Wenn das Polareis schmilzt, steigt auch im Wattenmeer der Meeresspiegel. Inseln und Wattflächen können auf lange Sicht durch Abbruch und Überflutung verloren gehen. Um eine Anpassung des Wattenmeeres an den Anstieg des Meeresspiegels zu ermöglichen, sind naturbasierte Maßnahmen erforderlich, wie etwa Sedimentmanagement in Verbindung mit Renaturierungen. Wenn zugleich die globalen Klimaschutzziele erreicht werden, kann das Wattenmeer gerettet werden.
Wiederherstellung
Als Schutzstation Wattenmeer und WWF mit ihrer Arbeit im Wattenmeer begannen, war es für viele Arten bereits zu spät. Die Europäische Auster, der Nagelrochen, der Stör, die Raubseeschwalbe, Sandkorallen oder das Unterwasser-Seegras waren schon verschwunden. Erst durch den Schutz gelang es, den weiteren Artenverlust zu bremsen. Nun gilt es, den verschwundenen Arten und Lebensräumen eine Rückkehr zu ermöglichen. Auch um das zu erreichen, dürften große Teile des Nationalparks nicht mehr befischt werden. Zum Erhalt der noch zahlreich brütenden Küstenvögel muss verhindert werden, dass gebietsfremde Prädatoren wie Füchse, Marderhunde oder auch Wanderratten auf den Inseln und Halligen Schäden anrichten.
Weltnaturerbe
Das Wattenmeer ist überwiegend noch eine ursprüngliche und dynamische Landschaft mit annähernd natürlichen ökologischen Prozessen. Mit einer weltweiten Bedeutung für den Erhalt von Wat- und Wasservögeln ist es einzigartig und geschützt. Aus diesen Gründen wurde es 2009 von der UNESCO als Weltnaturerbe anerkannt. Nur Gebiete von „außergewöhnlichem universellem Wert“ werden mit dieser höchstmöglichen Anerkennung einer Naturlandschaft geehrt. Und so zählen zu den 231 Weltnaturerbe-Gebieten z.B. auch die Serengeti oder die Galapagosinseln – viel Ehre für unseren Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, die einen wirksamen Naturschutz erleichtert!
Was ist ein Nationalpark laut Bundesnaturschutzgesetz?
§ 24 Nationalparke, Nationale Naturmonumente
(1) Nationalparke sind rechtsverbindlich festgesetzte einheitlich zu schützende Gebiete, die
1. großräumig, weitgehend unzerschnitten und von besonderer Eigenart sind,
2. in einem überwiegenden Teil ihres Gebiets* die Voraussetzungen eines Naturschutzgebiets erfüllen und
3. sich in einem überwiegenden Teil ihres Gebiets* in einem vom Menschen nicht oder wenig beeinflussten Zustand befinden oder geeignet sind, sich in einen Zustand zu entwickeln oder in einen Zustand entwickelt zu werden, der einen möglichst ungestörten Ablauf der Naturvorgänge in ihrer natürlichen Dynamik gewährleistet.
(2) Nationalparke haben zum Ziel, in einem überwiegenden Teil ihres Gebiets* den möglichst ungestörten Ablauf der Naturvorgänge in ihrer natürlichen Dynamik zu gewährleisten. …
* also auf mindestens 50 Prozent der Fläche